Rehamesse – Produkte nur für „Musterkrüppel“ und „Standard-Behinderte“

Ein wichtiger Ort für Menschen mit Behinderung, um sich über medizinische und technische Möglichkeiten zu informieren, sind die regelmäßig stattfindenden Rehamessen, wie die Rehacare in Düsseldorf oder die REHAB in Karlsruhe. Aber kann eine Messe wie diese, auch wirklich das gesamte Spektrum an Behandlungs-, Therapie- und Unterstützungsoptionen abbilden, die es braucht, damit jede Person mit Behinderung etwas Geeignetes finden kann?

Behinderung ist divers

Es gibt unzählige, Gründe, warum eine Person als „behindert“ oder „Mensch mit Behinderung“ bezeichnet werden kann. Das liegt nicht nur daran, dass die Gründe, die einer Behinderung zugrunde liegen können, vielfältig sind, sondern auch daran, dass es bei manchen Erkrankungen, die zu einer Behinderung führen können, auch auf die Art und Weise der Behandlung (aktuell und in der Vergangenheit) ankommt, in welcher Hinsicht sich Einschränkungen im Alltag aus der Diagnose ergeben. Und das Allerwichtigste ist, dass der Lebensraum, in dem sich eine Person mit einer Diagnose, die einer Behinderung zugrunde liegen kann, bewegt, individuell ist und ganz verschiedene Anforderungen mit sich bringt. Es gibt nicht den „Musterkrüppel“, der als Beispiel für alle Menschen mit Behinderung stehen kann und genau deren Bedarf abbildet. Oftmals ist es nicht mehr möglich, zwei Menschen mit derselben Diagnose miteinander zu vergleichen.

Es braucht individuelle Hilfsmittelversorgung und niederschwellige Informationsmöglichkeiten

Damit alle das Beste aus ihren persönlichen Voraussetzungen machen können, ist es wichtig, dass Hilfsmittel sich in den Alltag eingliedern und die Nutzung und Reaktivierung vorhandener, körperlicher Voraussetzungen unterstützen oder ermöglichen. Ein Hilfsmittel oder eine Unterstützung soll den Alltag erleichtern und nicht behindern, Teilhabe soll gefördert werden und der Mensch mit Behinderung soll dadurch empowert sein, so zu leben, wie es der eigene Wunsch ist.

Aber wie findet ein Mensch mit Behinderung das richtige Tool, um noch besser im Alltag bestehen zu können?

Das ist die große Frage, mit der wir uns Menschen mit Behinderung ständig beschäftigen. Es gibt Sanitätshäuser, Rehamessen und natürlich der Austausch mit anderen Betroffenen. Vielmehr Wege, um vielleicht auch etwas speziellere Hilfsmittel zu finden, gibt es nicht. Entweder wir haben Glück und begegnen unserer ideal-Unterstützung zufällig oder wir finden sie nie. Im Grunde wäre es die Aufgabe eines Sanitätshauses, sich die individuelle Situation anzuschauen und dann die richtigen Hilfsmittel zu empfehlen. Leider fehlt jedoch in vielen Sanitätshäuser Erfahrung mit jungen Menschen, die mit komplexen Behinderungen und chronischen Erkrankungen leben. Dort werden doch viel öfter Senior*innen, mehr schlecht als recht versorgt.

Die Rehamesse als Ort für niederschwelliger Zugang zu Hilfsmitteln und Unterstützungsmöglichkeiten

Gerade weil es so schwierig ist, ein Sanitätshaus zu finden, dass sich auch mit technischen Neuheiten und Hilfsmitteln auskennt, die für junge Menschen mit komplexen und chronischen Erkrankungen/Behinderungen auskennt, sind Rehamessen umso wichtiger. Sie sind ein Ort, an dem sich diese Menschen oder deren Zugehörige selbst ein Bild vom Hilfsmittelmarkt und den Möglichkeiten machen können, die es gibt. Rehamessen sollen auch ein Ort sein, an dem schon erste Kontakte zu den Hilfsmittel-Versorgern geknüpft und interessante Hilfsmittel direkt getestet werden können.

Was wäre also geeigneter als eine Rehamesse, um die richtigen Hilfsmittel für das eigene Leben zu finden? Nichts! Die Rehamesse ist genau der richtige Ort dafür.

Dabei gibt es jedoch ein großes Problem:

Es fehlt an Diversität auf den Messen!

Regelmäßig besuche ich die Rehamessen in Deutschland. Meistens bereite ich mich nicht wirklich darauf vor, denn ich möchte mir mehr oder weniger in Ruhe alle Hallen und alle Ständer ansehen. Ich gehe nicht gezielt zu einem Stand, um mir nur diesen anzuschauen, denn dann kann es ja sein, dass ich eine Firma, die ich nicht kenne und die vielleicht die richtigen Produkte für mich hat, übersehe. Beim Schlendern über die Messen ist mir dieses Jahr zum ersten Mal so richtig bewusst geworden, dass eigentlich das Angebot wenig divers ist.

Was ich auf einer Rehamesse in rauen Mengen finden kann:

  • Rollstühle
  • Pflegebetten
  • Werkstätten für Menschen mit Behinderung und sonstige Rehabilitationsträger
  • Sonderbesteck
  • Gehstöcke/Rollatoren
  • Massagesessel

Was ich auf einer Rehamesse nicht oder viel zu selten finde:

  • Beatmungsmasken
  • Zubehör für die Ernährungssonde
  • innovative Sachen zum Thema Blasen und Darm-Management
  • nützliche und praktische Tools, zum Beispiel für gehörlose Menschen (ausgenommen Klingel mit Blitzoption, die es auch auf A******n gibt)
  • ansehnliche Kleidung, die sich gut im Rollstuhl tragen lässt (zum Beispiel Jacke, die hinter der Rückenlehne geschlossen wird)

Nachdem mir auf mehreren Messen diese Problematik aufgefallen ist, frage ich mich natürlich, warum ist das so? Für wen werden diese Messen konzipiert … Wird bei der Vergabe der Standplätze vorsortiert und überlegt, welche Stände für „Musterkrüppel“ interessant sein können und die Schnittmenge von, zum Beispiel beatmeten Menschen ist einfach zu gering? Ist „Musterkrüppel“ vielleicht gar nicht beatmet, hat er gar keine chronische Erkrankung sondern einen Querschnitt? Das wäre sogar schon internalisierter Ableismus, wenn eine Messe, die für alle Möglichkeiten zum Thema Inklusion und Teilhabe bieten soll, nach einem solchen Konzept zusammengestellt werden würde… Zumal anscheinend nicht bedacht wird, dass die Lebenserwartung und Überlebenschance mit komplexen Erkrankungen und Behinderungen in den letzten Jahren durch technische Fortschritte und der stetigen Verbesserung von Heimbeatmung und Co. immens gestiegen ist. Nicht zuletzt ist es umso wichtiger, dass auf Messen wie diesen auch das Hilfsmittelangebot sich den Lebensrealitäten anpasst.

Aber egal, woran es dieses und die letzten Jahre (vor Corona) lag, vielleicht kann das in Zukunft besser werden. Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass die Auswahl der vorgestellten Hilfsmittel und Unterstützungsoptionen auf den Rehamessen diverser wird und auch für Menschen mit komplexen Behinderungen mehr dabei ist in Zukunft. Das kann gelingen, wenn wir

Teilhabe nicht nur auf der Messe schaffen, sondern auch in der Messe-Organisation. Die REHAB in Karlsruhe hatte in der Vorbereitung schon gute Schritte gemacht und einen sogenannten Patienten-Beirat eingerichtet, an dem ich auch teilgenommen habe. Jedoch haben wir nicht über die Aussteller beraten, sondern über Barrierefreiheit auf der Messe, auch ein sehr wichtiges Thema!

Wie wäre es, wenn über die Auswahl der Stände in Zukunft ein vielfältig zusammengesetztes Plenum aus Messe-Mitarbeiter*innen, aus Menschen mit verschiedenen Behinderungen und aus Angehörigen von Menschen mit sehr schweren Behinderungen entscheiden würde? Könnten wir dadurch ein größeres Portfolio für alle schaffen?

2 Kommentare zu „Rehamesse – Produkte nur für „Musterkrüppel“ und „Standard-Behinderte“

  1. Volle Zustimmung! Allerdings müsste die Diversität schon bei der Entwicklung der gewünschten Produkte beginnen – denn wenn es sie nicht gibt, kann eine Messe sie auch nicht vorstellen ….

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  2. Sehr richtig. Wir brauchen mehr Informationen in zentraler Form. Das gilt aber nicht nur für Betroffene, sondern auch für Ärzte und Therapeuten. Meist muss ich denen sagen, welche Hilfsmittel es so gibt. Ist doch irgendwie falschem. https://weitermitplanb.org/2022/07/02/ai-hoffentlich-besteht-gretchen-schnell-den-turing-test/

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