Vom 10. bis zum 20. September 2021 war ich auf der schönen Insel Rügen. Eigentlich wollte ich nichts tun, ausspannen und am Strand chillen. Aber ganz ehrlich, einmal Aktivistin, immer Aktivistin. Auch im Urlaub kann ich es nicht lassen. Überall fallen mir Dinge ins Auge, die Inklusion suggerieren, aber sich in Wirklichkeit als Mogelpackung herausstellen. Ich möchte das hier in diesem Beitrag mal anhand der Rügener Strandarchitektur darstellen. Da ich wie ihr wisst Rollstuhlfahrerin bin, kann ich hier lediglich Probleme und Lösungsvorschläge für rollstuhlfahrende Personen geben. Wenn ihr eine andere Behinderung gehabt, zum Beispiel eine Lernbehinderung oder Blindheit, dann schreibt eure Erfahrungen mit der Insel Rügen doch bitte unten in die Kommentare.
Allgemeine Rollstuhltauglichkeit der Inselinfrastruktur
Im Großen und Ganzen ist die Insel Rügen, vor allem in den großen Kurorten und Ostseebädern (zum Beispiel Binz) wirklich rollstuhlgeeignet die Strandpromenaden sind sehr gut mit dem Rollstuhl zu erreichen, es gibt viele Straßen mit angelegten Gehsteigen (und niedrigen Kanten), über die man als rollstuhlfahrende Person super zur Promenade kommt. Diese ist meistens geteert oder besteht aus einem festen Naturboden. Mit beiden Rollstühlen (Elektrorollstuhl oder Schieberrollstuhl) kamen wir sehr gut zurecht. Auch die meisten Eisdielen, Ladengeschäfte und Touristen-Informationen sind mit dem Rollstuhl gut befahrbar. Selbst im Wald hatten wir kaum Probleme. Am Kap Arkona waren sehr viele Menschen und wenn mein Rollstuhl nicht aus technischen Gründen kapituliert hätte, wären wir auch dort problemlos auf Besichtigungstour gegangen.
Der Strand als Endgegner
Ein großes Problem jedoch stellt Sand für Rollstühle dar. Sand ist der Endgegner für Getriebe aller Art, aber auch für die Kraftreserven von Assistenzen. Blöd nur, dass ein Strand zu knapp 100 % aus Sand besteht. Wie also soll ich als Person im Rollstuhl den Sand für mich zu erschließen, dass ich wie jede andere Person auch gemeinsam mit meinem Hund und der Assistenz einen Strandspaziergang machen kann? Dieses Problem konnte ich durch meine Recherche vorab leider nicht lösen. Ja, natürlich fand ich eine Liste, auf der Strände, die als barrierefrei bezeichnet waren aufgelistet wurden, doch was diese Webseite unter barrierefrei versteht, entspricht nicht ganz meinen persönlichen Vorstellungen. Ein gutes Beispiel dafür stellt der „rollstuhlgerechte“ Strand in Glowe dar. In der genannten Liste stand, dass der Strand einen Holzsteg hätte, welcher zwar nur bis zu den Grünen führen würde, aber rechts und links eine Dünen entlang befahrbar wäre.
Sowas ähnliches habe ich auch vorgefunden … Zumindest einen Steg, runter zu den Dünen, der befahrbar war. Rechts und links, ja da war auch Holz … Falls das einen Steg darstellen sollte, ist der so schräg (Richtung Sand), dass jeder Rollstuhl, ob Elektrorollstuhl oder Aktivrollstuhl ins Rutschen kommt und am Ende in den Sand fällt. In diesem Fall wäre das mehr als gefährlich, nicht nur weil ein Elektrorollstuhl sich nicht mal eben aus dem Sand heben lässt, sondern auch weil zwischen Steg und Sand bestimmt 15 cm Absatz sind, der dazu führt, dass der Rollstuhl nicht nur in den Sand rutscht, sondern seitlich fällt. Wie das ausgehen kann, könnt ihr euch sicherlich denken. Das möchte ich hier jetzt nicht näher beschreiben

Eine Lösung, die wirklich inklusiv ist und gut funktioniert, sind Strandrollstühle. Diese habe ich per Zufall in Binz gefunden. Binz ist ein sogenanntes Ostseebad. D. h., dass es in diesem Ort viel Tourismus gibt und auch Kurkliniken. Die Strände in Ostseebädern sind so wie ich es empfunden habe besonders darauf ausgerichtet, dass auch Menschen die eine Erkrankung oder eine Behinderung haben und eventuell dort in Kur sind, die Einrichtungen nutzen können. In den so genannten Ostseebädern habe ich zum Beispiel auch besonders viele, barrierefreie Toiletten gefunden, die ich mit dem Euro-Schlüssel öffnen konnte.
Aber jetzt zurück zu den Strandrollstühlen. Wir verstehen darunter einen Sitz oder eine Liege, mit besonderen Rädern, sogenannte Ballonräder. Damit lässt sich eine Person, die nicht laufen kann und sonst im Rollstuhl sitzt, sehr gut über den Strand schieben. Im Gegensatz zu den normalen Rollstuhlrädern sind Ballonräder viel breiter und graben sich somit nicht den weichen Sand ein.
Am Strand, im Ostseebad Binz sind Strandrollstühle an mehreren Strandabgängen zum Ausleihen verfügbar. Das Team vom Rettungsturm des entsprechenden Strandabgangs ist dafür zuständig und erklärt, wie der Rollstuhl funktioniert. Der eigene Rollstuhl bleibt so lange auf dem Parkplatz beim Rettungsturm stehen und wird bewacht. Da der Turm in der Hauptsaison immer besetzt ist, ist das ungefährlich. Hier kommt aber auch der Haken. Ich habe gerade schon die Hauptsaison erwähnt. Leider sind die Strandrollstühle auch nur im Zeitraum der Hauptsaison (Juli bis September) verfügbar.
Es ist übrigens gar nicht so leicht, herauszufinden, wo es diese Strandrollstühle gibt. Als ich nach Rügen gefahren bin, wusste ich lediglich von einer Freundin, die vor einer Weile auf Langeoog im Urlaub war, dass es diese Gefährte gibt. Ich habe mir die Finger wundgegoogelt und die Ohren abtelefoniert, alles was online in den angezeigten Ergebnissen erschien, kostet Unmengen Geld, weil es sich um Sanitätshäuser handelt, die diese Rollstühle vermieten. Das gratis Angebot in Binz habe ich durch einen Zufall gefunden, kombiniert mit meiner allgemeinen „was auch immer das ist, ich gehe da jetzt hin“ Einstellung. Ausschlaggebend, dass ich nach Binz gefahren bin, war nämlich, dass ich auf einer Webseite auf folgende Formulierung gestoßen bin, die ich hier sinngemäß wiedergebe: „im Ostseebad Binz stehen Gefährte zur Verfügung, die gehbehinderte Menschen zum Wasser befördern können.“
Wenn ich diesen Satz ernst genommen hätte, wäre ich von einem fest installierten Lift ausgegangen, mit dessen Hilfe man über eine gerade Linie zum Wasser gefahren wird, um darin schwimmen zu gehen. Dass es sich in diesem Fall um mobile Strandrollstühle handelt, die von einer Begleitperson geschoben werden müssen, war mir nach dem Lesen des Textes so erst mal nicht klar. Deshalb habe ich mich umso mehr gefreut, dass ich auf dieses Gefährt gestoßen bin. Es war dann auch ein wirklich schöner Spaziergang am Strand in Binz.
Pro Tipp
Bevor wir zu meinen Top 5 Must-Haves für rollstuhltaugliche Strände kommen, möchte ich noch einen Tipp für all diejenigen herausgeben, die Rollstühle benutzen aber auch noch einige Schritte, zum Beispiel im Ferienhaus laufen können … Bucht euch auch wenn ihr laufen könnt und der Rollstuhl vor der Tür parken könnte, ein Ferienhaus oder ein Bungalow, bei welchem ihr den Rollstuhl mit rein nehmen könnt. Klar, geklaut wird er hier nicht, ich persönlich bin aber auch nicht der größte Fan von achtbeinigen, Spinnentier genannten, ungebetenen Passagieren. Die meisten Bungalows und Ferienhäuser, die ich gesehen habe, ebenso wie viele Campingplätze sind im Waldgebiet. Da gibt es schon mal Spinnen und andere Tiere, die wir so in der Großstadt nicht treffen. Und damit meine ich nicht nur Arten, die wir noch nie gesehen haben, sondern auch Größen, denen wir im Alltag nicht einfach mal so begegnen. Glaubt mir, ich spreche hier aus persönlicher Erfahrung.
Must-Haves für einen rollstuhltauglichen Strand
So und zum Abschluss gibt es hier noch eine Liste meiner top 5 Dinge, die ein rollstuhltauglicher Strand haben sollte. Diese Auflistung richtet sich vor allem an diejenigen, die Strände neu gestalten und zugänglich für jede Person machen möchten.
1. Ganzjährig verfügbare Strandrollstühle (im Zweifel auch mit Voranmeldung, das kann sogar die Deutsche Bahn manchmal)
2. Barrierefreie Toiletten mit Zugang durch den Euro-Schlüssel (eine Toilette für alle hat nicht nur Haltegriffe und ist von beiden Seiten befahrbar, sondern auch eine große Behandlungsliege und eine Patientenlift).
3. Strände, die mit Holzstegen rollstuhlgerecht gemacht werden sollen, sind schön, vor allem dann wenn es nicht die Möglichkeit gibt einen Strandrollstuhl auszuleihen. Aber bitte baut doch den Steg ohne Schräglage. Vor allem deshalb, weil es sich so vermeiden lässt, dass Rollstühle vom Steg aus in den Sand rutschen oder alternativ sogar fallen. Vor allem Letzteres ist gefährlich. Die Kombination Sand und Schräglage auf einem Holzsteg kann rutschig werden und dazu führen, dass Schräglagen, die ohne Sand unter den Reifen problemlos befahren werden können, wirklich gefährlich werden.
4. Geteerte Strandpromenade mit verschiedenen Zugängen, die unterschiedlich steil sind (damit auch Menschen ohne Begleitung im Rollstuhl die Steigung bewältigen können, auch wenn sie nicht ganz so trainiert sind)
5. Gut informierte Touristen-Information (ein Traum, wenn eine Touristen-Information weiß, welche Ausflugsziele mit dem Rollstuhl gut erreichbar sind und wo es Strandrollstühle gibt)