Aufhebung der Impfpriorisierung – Chance oder Farce?

Das Bundesministerium für Gesundheit hebt zum 7. Juni 2021 die geltende Impfpriorisierung für die Coronaschutzimpfung auf. Von vielen Seiten kommt Kritik, da es immer noch sehr viele Menschen aus den Priorisierungsgruppen gibt, die bisher keine Impfung erhalten haben. Dazu zählen auch viele Menschen mit Behinderung. Aber ist die Aufhebung der Impfpriorisierung wirklich so negativ, müssen wir dadurch wirklich befürchten, dass es für Menschen mit Behinderung jetzt schier unmöglich ist, eine Impfung zu erhalten oder bietet sich dadurch vielleicht sogar eine ganz neue Chancenperspektive?

Hintergrund: Warum gibt es in Deutschland eine Impfpriorisierung für die Coronaschutzimpfung?

Seit Anfang des Jahres 2021 können sich Menschen in Deutschland gegen das Corona-Virus (SarsCov2) impfen lassen. Da es nicht so viel Impfstoff gibt, wie Deutschland und andere Länder brauchen, sind die Lieferungen begrenzt und deshalb muss der Impfstoff zielgerichtet eingesetzt werden. Das Gesundheitsministerium hat sich entschieden, nach einer Empfehlung der ständigen Kommission (STIKO) zu handeln und Menschen in bestimmten Berufen (zum Beispiel Pflege) oder mit besonderen Vorerkrankungen zuerst zu impfen, also zu priorisieren. Dahinter steckt der Gedanke, dass die Erkrankung Covid-19 mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem schweren Verlauf (oder bis zum Tod) führt, wenn ein Mensch ein Immunsystem hat, dass nicht mehr ganz so gut ist. Das ist bei Menschen mit Vorerkrankung oft der Fall. Außerdem wurden Mitarbeitende der Berufen, die als systemrelevant eingestuft wurden, ebenfalls bevorzugt, damit zum Beispiel die Versorgung der erkrankten Menschen im Krankenhaus sichergestellt ist.

Mittlerweile, stand 21. Mai 2021 haben mindestens 39 % der deutschen Bevölkerung die erste Impfdosis bekommen. Darunter sind nicht nur priorisierte Personen, die durch die festgelegten Priorisierungsgruppen eine Möglichkeit für die Impfung bekommen haben, sondern auch Personen, die den großen Städten, in bestimmten Brennpunkten wohnen.

Brauchen wir weiterhin eine Priorisierung? – Unpopular Opinion

Daran, dass wir die Möglichkeit haben, gezielt in Gebieten mit sehr hohen Fallzahlen zu impfen, sehen wir, dass die strikte Priorisierung, wie wir sie zu Beginn hatten, so nicht mehr ausreicht. Wir brauchen ein weiter gefasstes System, das regionale Strukturen, persönliche Gegebenheiten und medizinische Vorerkrankungen einschließt. Wer kann eine so komplexe Abwägung wirklich treffen? Unbeteiligte, die eine Person nicht kennen, die vielleicht einen zwölfseitigen, ausgefüllten Fragebogen erhalten und den dann abstempeln? Klingt nach einem guten, bürokratischen System für Deutschland. Aber ganz ehrlich, wäre das zielführend? Nein, deshalb ist die Aufhebung der Impfpriorisierung, in Kombination mit der Möglichkeit zur Impfung beim Hausarzt oder der Hausärztin ein gutes Mittel, besonders gefährdeten Personen eine Impfung zu ermöglichen, die bisher durchs Raster gefallen sind.

Denken wir nur mal an einen Menschen mit Behinderung, der aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage ist, den Antrag auf Einzelfallentscheidung bei der landeseigenen Gesundheitsbehörde zu stellen … Dieser Mensch wird nun von seiner Hausarztpraxis angerufen und kann geimpft werden, ganz ohne komplizierte Anträge stellen zu müssen, die er oder sie nicht versteht.

Oder die alleinerziehende Person mit drei Kindern, deren Kinder in die Schule und/oder den Kindergarten gehen müssen. Wenn diese Person erkrankt, kann sich die Hauptbezugsperson nicht mehr um ihre Kinder kümmern. Auch hier ist jetzt der Schutz durch eine Coronaimpfung möglich.

Berechtigte Ängste vor Dränglern und Urlaubslustigen:

Natürlich ist es ein starkes Signal an die Bevölkerung, wenn das Gesundheitsministerium die komplette Priorisierung im Bezug auf die Coronaimpfung aufhebt. Vor allem dann, wenn langsame Lockerungen eintreten und über weitere „Freiheiten“ für geimpfte Personen diskutiert wird. Da lässt es sich nicht leugnen, dass es Personen geben wird, die mit allen Mitteln der Kunst versuchen werden, so schnell wie möglich an eine Impfung zu kommen. Gerade diejenigen, die im Sommer in den Urlaub fliegen möchten, haben es jetzt eilig. Der VdK kritisiert, dass die Verantwortung, wer eine Impfung bekommt oder nicht, nun bei den Arztpraxen liegen würde.

Aber ist das wirklich zu kritisieren? Warum trauen wir Hausärztinnen und Hausärzten nicht zu, sinnvolle und berechtigte Entscheidungen zu treffen, wer eine Impfung bekommen soll und wer nicht? Funktioniert das nicht bei anderen Impfungen, wie bei der Grippeschutzimpfung, nicht auch schon super gut? Vielleicht sollten wir in dieser Hinsicht etwas mehr Vertrauen haben. Natürlich ist niemand davor gefeit, Fehler zu machen und Einzelfallentscheidungen, die ein Arzt oder eine Ärztin trifft, können bei Kollegen anders gesehen werden. Aber liegt der Einzelfall nicht auch immer im Auge des Betrachters?

Ich persönlich denke, dass es Sinn macht, die Priorisierungsgruppen 1-3 weiterhin bevorzugt zu impfen, aber auch die Möglichkeit der Impfung denen zu eröffnen, die durch individuelle Lebensumstände ebenfalls ein hohes Gefährdungspotenzial haben und die gerade anderweitig durchs Raster fallen. Wer könnte diesen Priorisierungsspagat besser vollführen, als Haus- und Facharztpraxen?

Wir haben in Deutschland ein sehr gutes Gesundheitssystem, auch wenn es wieder in der Pandemie und auch schon davor gemerkt haben, dass es durchaus Defizite hat. Trotzdem müssen wir auch etwas Vertrauen, vor allem in die, die wirklich gefragt sind, die Hausärztinnen und Hausärzte, die Fachärztinnen und Fachärzte und auch die Betriebsarztpraxen. Sie sind es nämlich, die Deutschland wirklich zu einem Impferfolg verhelfen können.

Zum Weiterlesen:

Pressemitteilung VdK

Informationen zum Corona-Virus vom Gesundheitsministerium

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