Behindert, besonders, Special needs – von Zuständen und Euphemismen

Worte und deren Bedeutung bieten in der deutschen Sprache immer wieder Diskussionsstoff. Viele Worte werden unbedacht benutzt, manchmal mit guten Absichten und des Öfteren auch in unpassenden Situationen. Wir haben Doppelbedeutungen, undurchsichtige Stilmittel und wir machen uns viel zu viele Gedanken, welche Formulierung die unverfängliche ist. Vor allem in Berichten und Texten zum Thema Inklusion und Behinderung findet man häufig euphemistische Umschreibungen die zum Teil nichts mehr mit der nackten Realität zu tun haben. Das Problem liegt darin, dass es selbst unter Menschen mit Behinderung immer wieder Diskussionen gibt, mit welchen Begriffen der Zustand am besten beschrieben wird. Die Diskussion ist häufig von Emotionen geleitet, manchmal sogar von Selbstverständnis und Unverständnis, von Akzeptanz und Goodwill.

Behindert oder besonders

Es gibt sehr viele Begriffe und Beschreibungen, die verwendet werden, wenn es um Menschen mit Behinderung geht. Vor allem die Formulierung „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ trifft man sehr häufig in Texten an. Dies liegt nicht allein daran, dass in der englischen Sprache der Ausdruck „Special needs“, also besondere Bedürfnisse, verwendet wird, wenn es um eine Behinderung geht. Es wird also ausgedrückt, dass der Mensch besondere Unterstützung benötigt, um uneingeschränkt am Leben teilhaben zu können.

Die Bezeichnungen „besonders“ oder „besondere Bedürfnisse“ werden nicht ausschließlich durch wörtliche Übersetzungen aus der englischen Sprache begünstigt, viele Menschen mit Behinderung mögen den Ausdruck „behindert“ zu Recht nicht. Diese Abneigung hat häufig nichts mit fehlender Selbstakzeptanz, fehlendem Verständnis für den eigenen Körper oder Eigenaggression zu tun, vielmehr damit, dass der Ausruf „bist du behindert!“ Von vielen Menschen als Beleidigung eingesetzt wird, wenn jemand nicht so handelt, wie der Andere es erwartet. Das Problem dabei ist, dass die Bezeichnung „behindert“ häufig auch als Synonym für „doof“, „dumm“ oder „bescheuert“ eingesetzt wird. Das heißt, dass dieses Wort eine dreifache Negativprägung hat und von vielen Menschen ohne Behinderung im täglichen Sprachgebrauch unbedacht und viel zu häufig eingesetzt wird. Dadurch entsteht bei Menschen mit einer wirklichen Behinderung, die sowieso häufig auf ihre Behinderung reduziert werden (gesamtgesellschaftliches Problem), ein schlechtes Gefühl gegenüber der Selbstbezeichnung „ich bin behindert“ oder „ich habe eine Behinderung“. Grundsätzlich ist es eigentlich so, dass eine Behinderung nicht unbedingt auf einen körperlichen Zustand zurückzuführen ist, denn eine Behinderung entsteht, wenn die Umwelt nicht den Bedürfnissen des Individuums entspricht, das heißt, dass ich zum Beispiel nicht durch meine Muskelerkrankung behindert bin, sondern dass ich aufgrund der unangepassten Umwelt in manchen Bereichen behindert werde, wenn ich aufgrund meiner nicht funktionierenden Beine besser eine Rampe nehme, als eine Treppe.

Durch diese negativen Gefühle, die aufgrund von unbedachtem Nutzen bestimmter Ausdrücke entstehen, suchen Menschen mit Behinderung oder nahestehender Angehörige häufig nach Alternativen für diese Bezeichnung. Nach und nach setzte sich die 1 zu 1 aus dem Englischen übersetzte Bezeichnung „besondere Bedürfnisse“, oder „besonders“ durch. Eine meiner Meinung nach gefährliche, euphemistische Beschreibung, die einen körperlichen und gesellschaftlichen Zustand mit positiven Begriffen beschreibt. Sicher klingt es in Muttis Ohren viel schöner, sagen zu können „Mein Kind ist besonders“ oder „ich habe ein besonderes Kind“, als zu sagen „mein Kind hat eine Behinderung“. Im Grunde ist nichts daran auszusetzen, zu sagen, dass ein Kind besonders ist. Bleibt jedoch die Frage, ob die Geschwisterkinder, die keine Behinderung haben, auch als besonders zu bedienen sind … Für mich zumindest sind alle Menschen besonders, egal ob mit oder ohne Behinderung. Es wäre aus meiner Sicht eine Ausgrenzung der Kinder ohne Behinderung, wenn nur das Kind mit Behinderung als „besonders“ zu bezeichnen wäre.

Jeder hat das Recht besonders zu sein.

Welche Lösung hat die Eierlegende Wollmilchsau?

Für eine Fragestellung wie diese, die geladen ist mit Emotionen, gesellschaftlichen Missständen und Barrieren, wo sie nicht sein sollten, kann auch die Eierlegende Wollmilchsau keine Lösung bieten. Da alle Menschen besonders sind und diese Besonderheit durch ihre eigene Meinung und ihre Haltung zu verschiedenen Problemstellungen geprägt wird, hat auch jeder das Recht, für sich die angenehmste Bezeichnung zu finden. Es ist so, dass wir darauf Rücksicht nehmen sollten, wenn eine Person die Bezeichnung „behindert“ für sich als nicht passend erachtet, auch wenn sich vielen anderen Menschen mit einer Behinderung dabei gefühlt die Zehennägel von hinten nach oben drehen. Wir können die negative Konnotation, die das Wort „behindert“ durch unsachgemäßen Sprachgebrauch erhalten hat, leider nur rückgängig machen, wenn die Nutzung für Beleidigungen von allen Menschen in Deutschland umgehend eingestellt werden würde. Fehlende Sensibilisierung und das Bewusstsein für das eigene Tun und Handeln, sowie die eigene Sprache begünstigen die Weiternutzung als Schimpfwort und Beleidigung ungemein. Deshalb wird der Wunsch, dass das Wort „behindert“ ausschließlich eine Zustandsbeschreibung würde, wohl nie erfüllt werden. Außerdem ist jeder Mensch ein freier Mensch und entscheidet selbst, wen er wie beleidigen möchte. Da bleibt nur die Lösung, auf die Wünsche und Ansichten der anderen Rücksicht zu nehmen und jemand nicht als „behindert“ zu beschreiben, wenn er lieber „besonders“ sein möchte.

Wusstet ihr eigentlich, dass das Wort „Behinderung“ auch standardmäßig im Verkehrsfunk benutzt wird? Auch irgendwie unpassend, jedes Mal krümmt sich mein Moderatorenherz, es gibt so viele, passende Beschreibungen dafür, dass eine Matratze auf der Autobahn liegt, die man verwenden kann, da muss es nicht eine „Behinderung“ sein.

Mein persönliches Statement

Meine Meinung habe ich in den einzelnen Absätzen dieses Beitrags schon sehr deutlich kundgetan. Kurz gesagt lässt sich mein Statement wie folgt zusammenfassen:

Ich bin und bleibe ein Mensch mit Behinderung bzw. behindert. Es macht für mich keinen Sinn, euphemistische Beschreibungen für einen Zustand zu nutzen, denn alle Menschen sind besondere Menschen.

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