Auf Spurensuche im eigenen Körper oder der lange Weg zur Diagnose

Die Geschichte eines Befundes, der viele Jahre lang vergessen in der Schublade der Münchner Uniklinik lag.

Wer mich persönlich kennt, der weiß, ich brauche für alles um mich herum Namen und Bezeichnungen. Ich brauche Ordnung, Struktur und Lösungen. Was ich gar nicht gebrauchen kann ist Ungewissheit, Instabilität und eine unabsehbare Zukunft. Genau in diese Situation kommst du, wenn du feststellst, dass die Diagnose, von der du glaubtest, sie wäre gesichert, nur eine Vermutung ist.

Schon seit ich am HMSN-Fachtag der DGM im Sommer teilgenommen habe, zweifelte ich an meiner ursprünglichen HMSN Typ 3 Diagnose. Ich entsprach überhaupt nicht dem Phänotyp, der in den Vorträgen beschrieben wurde. Somit war für mich klar, etwas stimmt mit der Diagnose nicht, es muss weitergesucht werden.

Meine Welt wurde einmal durchgerührt und quergeschüttelt, als ich mich erstmalig in der Hochschulambulanz der Charite vorstellte. Über ein Jahr hat es gedauert, bis ich einen Ansprechpartner gefunden habe, der mit meiner Situation etwas anfangen kann. Wie jedes Mal stellte ich vorab die Arztberichte zur Verfügung, von welchen ich glaubte, dass sie die aussagekräftigen Befunde eines Gentests aus dem Jahre 2015 seien. Bis dato ist niemandem aufgefallen, dass dieser Arztbericht lediglich Vermutungen enthält. Vermutungen und eine Aufforderung, zur Eröffnung des Ergebnisses nach München in die Uniklinik zu fahren. Wir Menschen mit Einschränkungen, die viel mit Arztberichten zu tun haben, wissen, dass viele dieser Schreiben äußerst kompliziert und unverständlich geschrieben sind. Für mich ist es bis heute, trotz meines Wissens über den Inhalt des Briefes, nicht möglich, die wahre Aussage zu erkennen. Dementsprechend haben wir (meine Eltern und ich) damals den Befund nicht abgeholt, niemand hat verstanden, dass es sich bei diesem Schreiben nicht um den Befund handelt. Ich für meinen Teil war minderjährig und meine Eltern haben sonst nichts mit dem Thema Medizin zu tun. Wer sollte dann dieses Schreiben verstehen? Wir definitiv nicht.

4 Jahre, einige Aufenthalte in unterschiedlichen Kliniken und einige Arztbesuche später, ist es einem Arzt aufgefallen, dass der Befund zum entsprechenden Arztbericht fehlt. Umgehend habe ich ihn angefordert. Ich habe mit vielem gerechnet, mit einer Bestätigung der Vermutungen, mit dem Hinweis, dass es keine Diagnose gibt aber nicht damit, dass ich mir etwas ganz Seltenes ausgesucht habe:

CMT 1D, das ist die Lösung auf alle meine Fragen. Es handelt sich in diesem Fall um eine spontane Mutation im Gen EGR2. Dieses sorgt normalerweise für die Bildung eines bestimmten Eiweißes, welches in der Ummantelung der Nerven zur Reizweiterleitung benötigt wird. Aufgrund der Mutation wird dieses Eiweiß nicht ordnungsgemäß gebildet und sorgt somit dafür, dass die Schwannzellen, welche die Nervenummantelung bilden, nicht richtig funktionieren. Sie können die Reize nicht gut weiterleiten und somit kommen diese nicht ordnungsgemäß am Bestimmungsort an. Dadurch bilden sich die Muskeln zurück und es entsteht die Situation, in der ich mich befinde.

Viel mehr kann ich euch darüber leider nicht erzählen, was soll ich sagen, ich habe mir etwas ausgesucht, das nicht gerade häufig vorkommt. Weniger als ein Prozent der Menschen, welche von einer HMSN oder CMT Erkrankung betroffen sind, haben genau diesen Gendefekt mit diesen Auswirkungen. Betroffene seltener Erkrankungen wissen jetzt genau, Forschung … Fehlanzeige. Aufgrund der geringen Anzahl an Betroffenen ist das forschen in dieser Erkrankung äußerst unwirtschaftlich. Die Möglichkeit der Behandlung besteht rein symptomatisch. Somit wird sich für mich durch die Diagnose nicht viel ändern.

Für meine Eltern kann sich jedoch einiges ändern, bisher glaubten sie jeweils Träger der Erkrankung zu sein. Mit diesem Befund ist nun sichergestellt, dass es sich um eine spontane Mutation handelt. Es ist also nachgewiesen, dass sie nicht Träger des Gendefekts sind und somit keine Gefahr besteht, dass genau dasselbe noch einmal in dieser Art weitervererbt wird. Die Chance, dass ein weiteres Kind genau diese Erkrankung haben würde, ist genau dieselbe, wie bei meiner Geburt damals. Also rechnerisch ist ein Lottogewinn um einiges wahrscheinlicher.

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