Die Bedeutung von Rufbereitschaft im Arbeitgeber*innen-Modell

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Im Arbeitgeber*innen-Modell organisieren Menschen mit Behinderung Ihre persönliche Assistenz selbstbestimmt nach ihrem individuellen Bedarf. Einige sind dabei rund um die Uhr auf Unterstützung ihres Assistenzteams angewiesen, ich zum Beispiel auch. Gerade in dieser Situation kann die Rufbereitschaft einen zentralen Schlüssel zur Versorgungssicherung darstellen.

Versorgungssicherung im persönlichen Budget:

Wenn ein Mensch mit Behinderung eine Sachleistung, wie zum Beispiel die Versorgung durch einen Pflegedienst in Anspruch nimmt, so hat der Anbieter einen sogenannten Versorgungssicherungsauftrag. Mit diesem verpflichtet sich der Leistungserbringer gegenüber dem Kostenträger den Bedarf zum Beispiel an außerklinischer Intensivpflege oder Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege zu decken und dessen Deckung sicherzustellen.

In einem persönlichen Budget gibt es keine Leistungserbringer, der den Sicherstellungsauftrag erfüllen kann. Demnach übernimmt die behinderte Person selbst oder gegebenenfalls eine vertretungsberechtigte Person dieser Aufgabe. Das bedeutet, dass die Verantwortung über das Gelingen der Inanspruchnahme der Leistung in der eigenen Verantwortung liegt, in leichten, aber auch in schwierigen Zeiten.

Hinweis: Offiziell liegt der Sicherstellungsauftrag bei Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung auch bei Inanspruchnahme eines persönlichen Budgets bei der Krankenkasse. Deshalb hat die Krankenkasse in diesem Fall zumindest aus theoretischer Sicht die Möglichkeit, die Versorgung in einem persönlichen Budget oder generell zu Hause, zu verweigern, wenn sie oder der medizinische Dienst der Meinung ist, dass die Versorgung zu Hause nicht sichergestellt werden kann.

Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst?

Im persönlichen Budget ist Rufbereitschaft leider noch nicht wirklich gängig. Deshalb verwechseln viele (auch Kostenträger) die Rufbereitschaft mit sogenanntem Bereitschaftsdienst, obwohl es ganz unterschiedliche Dienstformen sind.

Rufbereitschaft:

Die Rufbereitschaft gilt grundsätzlich erst einmal als Ruhezeit. Die Assistenz hält sich an einem Ort Ihrer Wahl (zu Hause) auf und geht ihren alltäglichen Dingen nach. Meldet sich kurzfristig die diensthabende Assistenz krank oder fällt während des Dienstes, zum Beispiel aufgrund eines Arbeitsunfalls aus, so wird die Rufbereitschaft aktiviert und macht sich umgehend auf den Weg zum Arbeitsort, um den Dienst aufzunehmen. Die Bezahlung für eine Rufbereitschaft erfolgt oft in Form von pauschalen oder als anteilige Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto.

Bereitschaftsdienst:

Findet Bereitschaftsdienst statt, so hält sich die Assistenz am Arbeitsort auf und wartet darauf, abgerufen zu werden. Viele Kostenträger interpretieren den Arbeitsanfall in der Nacht Zum Beispiel oftmals als Bereitschaftsdienst, sie nutzen diese Argumentation als Grundlage dafür, in einem festgelegten Zeitraum nur einen deutlich geringeren Stundenlohn zahlen zu müssen. Wichtig zu beachten ist, dass Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit zählt und insofern arbeitsschutzkonforme Pausen zwischen dem Bereitschaftsdienst und den Haupt-Diensten eingehalten werden müssen.

Wenn also ein Kostenträger zum Beispiel beschließt, dass in der Nacht zwar jederzeit eine Assistenz gebraucht werden könnte, dass aber so selten passiert, dass es gerechtfertigt ist, lediglich Bereitschaftsdienst anzusetzen, so muss bei der Dienstplanung zwischen einem Nacht-Bereitschaftsdienst, der 8 Stunden dauert und einer normalen Schicht mindestens eine Pause von 11 Stunden sein.

Achtung: Wenn Bereitschaftsdienst geleistet werden soll, muss dies im Arbeitsvertrag geregelt werden. Für Assistenzkräfte ist ein Dienstmodell dieser Art sehr unattraktiv, weshalb dringend davon abzuraten ist, sich mit dem Kostenträger auf eine Vereinbarung dieser Art einzulassen.

Wie trägt Rufbereitschaft zur Sicherung der Versorgung bei?

Im Arbeitgeber*innen-Modell arbeiten wir zu jeder Zeit mit Menschen zusammen. Menschen sind Lebewesen, keine Roboter. Das bedeutet, wir müssen damit umgehen, dass es auch Zeiten gibt, in denen die Assistenz nicht einsetzbar ist. Dazu zählt zum Beispiel Urlaub aber auch wenn die Assistenz krank wird. Urlaubsvertretung ist in der Planung wohl die einfache der beiden Optionen. Idealerweise wird mit passender Vorlaufzeit ein Zeitraum beantragt, in dem die Assistenz Urlaub nimmt und demnach nicht für die Arbeit eingesetzt werden kann. In diesem Zeitraum arbeiten andere Assistenzkräfte aus dem Team mehr oder es wird zeitweise eine Urlaubsvertretung eingesetzt.

Kurzfristige Krankheitsausfälle oder Arbeitsunfälle sind das größere Risiko, welches im Arbeitgeber*innen-Modell der Versorgungssicherung entgegensteht. Meldet sich eine Assistenz vor dem Dienst krank oder geht es ihr/ihm während des Dienstes plötzlich nicht gut, so muss eine Vertretung kurzfristig eingesetzt werden.

Vorgehen im Arbeitgeber*innen-Modell ohne Rufbereitschaft:

Das übliche Vorgehen ohne Rufbereitschaft ist so, dass der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin oder gegebenenfalls eine vertretungsberechtigte Person jedes einzelne Teammitglied in seiner Freizeit versucht zu erreichen und in den Dienst zu rufen. Wer Glück hat, findet so ein Teammitglied, welches einspringt aber das Glück ist uns nicht immer hold.

Grundsätzlich ist es streitbar, ob Arbeitnehmer*innen in der Freizeit jederzeit für den Arbeitgeber erreichbar sein müssen, um kurzfristig einen Dienst anzutreten. Demzufolge ist ohne eine Rufbereitschaft nicht gesichert, dass für den ausgefallenen Dienst eine Vertretung gefunden wird. Theoretisch gesehen ließe sich ohne Rufbereitschaft die Versorgung nur dann sichern, wenn wir Arbeitgeber*Innen beim Durchklingeln aller Assistenzkräfte die Gründe sammeln, warum die jeweilige Kraft nicht einspringen kann und diese dann gegeneinander abwägen. Dies kann nicht nur bei uns Arbeitgeber*innen zu unguten Gefühlen führen, sondern auch im Team, da es selten möglich ist, faire Entscheidungen zu treffen und alle gleichzubehandeln.

Vorgehen im Arbeitgeber*innen-Modell mit Rufbereitschaft:

Mit Rufbereitschaft sieht das anders aus. Je nach Schicht-System wird für jede Schicht (alternativ für jeden Tag) ein Teammitglied der Rufbereitschaftsschicht zugeordnet. Meldet sich die eingeteilte Assistenz vor dem Dienst krank, so wird die eingeteilte Rufbereitschaft in den Dienst gerufen. Dies kann durch den Arbeitgeber/die Arbeitgeberin passieren, je nach Schichtsystem oder individuellem Wunsch des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin kann auch die erkrankte Assistenz selbstständig den Rufbereitschaftsplan einsehen und die eingeteilte Kollegin/den eingeteilten Kollegen informieren. Gerade bei Schichtbeginn in den frühen Morgenstunden bietet das für uns Arbeitgeber*innen im Arbeitgeber*Innen-Modell den Luxus, nicht durch eine Krankmeldung um 5:00 Uhr früh geweckt zu werden und gegebenenfalls aus dem Aufwachen heraus sofort die volle Verantwortung für die Versorgung ab Schichtwechsel zu tragen.

Für uns als Arbeitgeber*innen bietet Rufbereitschaft also den unschlagbaren Vorteil, dass wir jederzeit wissen, wer einspringt, wenn die eingeteilte Assistenz nicht arbeiten kann.

Für unsere Assistenzkräfte bedeutet Rufbereitschaft, dass sie planen können, wann die Wahrscheinlichkeit besteht, einspringen zu müssen. Sie halten sie also den Zeitraum frei, bzw. planen zumindest keine unaufschiebbaren Termine. Gerade wenn Assistenzkräfte noch andere Verpflichtungen, wie zum Beispiel ein Studium oder eine Freiberuflichkeit zeitgleich zur Tätigkeit in der Assistenz haben, kann das für die individuelle Planung der Assistenzkräfte super hilfreich sein. Natürlich kann es hin und wieder vorkommen, dass die eingeteilte Assistenz und auch die eingeteilte Rufbereitschaft krank gemeldet sind. Gerade während Grippewellen ist das nicht unwahrscheinlich. Es ist sinnvoll, ein Szenario wie dieses zumindest bei der Planung im Kopf zu haben und gegebenenfalls mit dem Team in einer ruhigen Situation während einer Teamsitzung ein Vorgehen für diesen Fall zu erarbeiten.

Hinweis: Rufbereitschaft ist mittlerweile in vielen Tarifverträgen (zum Beispiel TVÖD-P) enthalten. Wenn also für die Kostenträger ein Budget nach Tarif kalkuliert wird, so lohnt es sich einen Blick in Die Tarifniederschrift zu werfen und die Konditionen für die Rufbereitschaft mit ins Budget zu nehmen. Übrigens sind in einem Tarifvertrag auch noch ganz andere, schöne Dinge für Assistenzkräfte bzw. Arbeitnehmer*innen enthalten, die in einer Kalkulation Platz finden könnten 😉

Wie kann Rufbereitschaft gegenüber dem Kostenträger begründet werden?

Verständlicherweise sehen Kostenträger Kalkulationen mit kalkulierter Rufbereitschaft weniger gerne, als Kalkulationen ohne. Sind sie doch im Vergleich um einiges teurer. Ein Rufbereitschaftssystem wie meines mit 60€ Pauschalbetrag pro 12 Stunden Rufbereitschaft kostet meinen Kostenträger im Jahr 43.800€, also 3650 pro Monat. Gerade in der außerklinischen Intensivpflege, wenn An- und Zugehörige keinen Anteil an der Versorgung übernehmen können/wollen liegt die Begründung der Versorgungssicherung auf der Hand. So ist es Menschen mit diesem anerkannten Bedarf nicht möglich, für eine kurze Zeit ohne Versorgung zu bleiben bzw. wenn das vorkommt kann das zu lebensbedrohlichen Situationen führen. Pflege- und Assistenzdienste nutzen ähnliche Rufbereitschaftssysteme um den Bedarf ihrer Klient*innen ohne Anschluss an private Betreuungsmöglichkeiten jederzeit abdecken zu können.

Auch ist die Rufbereitschaft wie schon erwähnt in den meisten Tarifverträgen für die Pflege enthalten. Wer also sich genau an einen Tarifvertrag anheftet in der Kalkulation, dem ist zu empfehlen, den gesamten Tarifvertrag einmal zu lesen und die Konditionen der Rufbereitschaft mit aufzunehmen. Im Gesamten betrachtet setzt sich die Anlehnung an Tarifverträge oder gar der Beitritt zum ebensolchen in der Persönlichen Assistenz immer mehr durch. Um Konkurrenzfähig zu Assistenzdiensten oder gegebenenfalls Pflegediensten zu sein, erscheint mir dies auch in Zukunft unabdingbar. So bedeutet ja eine bezahlte Rufbereitschaft für Assistenzkräfte auch einen zusätzlichen Boost auf der Lohnabrechnung.

Gerade wenn ein persönliches Budget erst einmal ohne Rufbereitschaft gestartet wurde, zeichnen sich relativ schnell die genannten Probleme in der Sicherung der Versorgung auf, wie zum Beispiel das Abwägen zwischen den Argumenten der Assistenzkräften oder sogar eine zeitweise Unversorgung, weil niemand gefunden werden konnte. In einer Situation wie dieser ist es ratsam, darüber eine Dokumentation zu erstellen und diese mit dem Antrag auf die Integration von Rufbereitschaft in das vorhandene Budget vorzulegen. Diese Dokumentation enthält zum Beispiel den genauen Zeitpunkt der Krankmeldung (Datum und Uhrzeit), den entsprechenden Schichtbeginn der krankgemeldeten Person und alle Maßnahmen, die gemacht wurden, um eine Vertretung zu finden.

Fazit:

In einem persönlichen Budget, gerade im Arbeitgeber*innen-Modell macht aus meiner Sicht die Einrichtung von Rufbereitschaftsschichten vor allem dann Sinn, wenn

  • ein Bedarf von 24h-Assistenz besteht
  • An- und Zugehörige nicht spontan Assistenzschichten übernehmen können
  • Es der Assistenznutzerin/dem Assistenznutzer unzumutbar ist, im Zweifel einige Stunden allein klar zu kommen.
  • Der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin entlastet sein möchte im Bezug auf die Übernahme der Verantwortung für den Fall einer kurzfristigen Krankmeldung.

Ich selbst nutze Rufbereitschaft in meinem persönlichen Budget seit 2021. Meine Assistenzkräfte bekommen für eine Rufbereitschaftsschicht von 12 Stunden eine Pauschale von 60 €. Ich kann mir die Umsetzung meines Arbeitgebermodells zum aktuellen Zeitpunkt nicht mehr ohne eine Rufbereitschaft vorstellen, da mir dadurch viel Unsicherheit, Stress und graue Haare bei der Vertretungssuche erspart bleibt. Auch habe ich den Eindruck, dass sich in der Suche nach neuen Assistenzkräften die Rufbereitschaft immer mehr ins Zentrum rückt. So oft, wie ich im Bewerbungsverfahren von potentiellen Assistenzkräften gefragt wurde, ob es bei mir Rufbereitschaft gibt, hatte ich das in den ganzen vergangenen 5 Jahren nicht.

Gerade auch in Bezug auf die Kostenträger könnte ich mir vorstellen, dass die Rufbereitschaft zukünftig auf mehr Verständnis stoßen wird, sobald ein Grundverständnis dafür in den Behörden aufgebaut wurde. Sicher ist es normal, dass diejenigen, die die ersten sind, die etwas teures ins Budget integrieren, diejenigen sind, die am meisten mit dem Kostenträger darum streiten aber gleichzeitig ebnen wir den Weg für künftige Generationen, dass sie sich um grundsätzliche Dinge wie Rufbereitschaft im persönlichen Budget nicht mehr streiten müssen, weil sie selbstverständlich geworden sind.

Wie ist das bei euch? Habt ihr Rufbereitschaft oder wie regelt ihr das Einspringen, wenn eine Assistenz krank wird?

Zum Weiterlesen:

Erreichbarkeit in der Freizeit: https://www.anwalt.de/rechtstipps/bag-update-erreichbarkeit-in-der-freizeit-223361.html

Definition Bereitschaftsdienst/Rufbereitschaft: https://www.juraforum.de/lexikon/bereitschaftsdienst

§37c GKV-IPReG Gesetzestext: https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbv/37c.html

7 Kommentare zu „Die Bedeutung von Rufbereitschaft im Arbeitgeber*innen-Modell

  1. Avatar von Ludwig Thumbach
    Ludwig Thumbach 2. April 2024 — 11:58

    Hallo, würde sich dann der Beitritt zu einem Arbeitgeberverband lohnen, – auch als Vitamin B für den gesetzesfernen Budgetgeber?

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    1. Avatar von Laura Mench

      Hallo,
      das kommt auf die Gesamtsituation an. Bei Verbänden, explizit für Assistenz im Arbeitgeber*modell, wie z.B dem AAPA e.V. in Berlin schon. Aber jetzt einfach irgendeinem Veband beizutreten halte ich nicht für sinnvoll.

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      1. Avatar von Ludwig Thumbach
        Ludwig Thumbach 2. April 2024 — 12:26

        Hallo, gibt’s sowas auch für Niederbayern? Die dortige Sozialverwaltung genehmigt immer noch nicht zwei erforderliche Assistenzkräfte zur morgendlichen Grundpflege bzw. mobilitätserhaltenden Transfer auf den Toilettenstuhl. .. Für eine Assistentin /Assistent unzumutbar – auch weil man im Falle des Falles auf verlorenem Posten wäre etc.

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      2. Avatar von Laura Mench

        Wäre mir nicht bekannt für Niederbayern. Zumidest für Grundlegende Verhandlungen zwecks Bedarf sind die eh nicht zuständig. Da macht es eher sinn, eine kompetente Budgetberatung zu nutzen ggf. in Kombination mit einer fachkundigen Anwaltskanzlei.

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  2. Avatar von hanuda1

    Hallo,
    welche Arbeitgebermodell-Verbände mit Tarifvertrag gibt es, neben AAPA e.V. und HAG eG?

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    1. Avatar von Laura Mench

      Hallo, mehr als die beiden sind mir nicht bekannt aktuell.

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