Das Coronavirus bringt die Gesundheitssysteme auf der ganzen Welt in Schwierigkeiten. Egal ob über Jahre kaputtgespart, grundsätzlich unsolide oder gar nicht vorhanden. Die hohe Zahl an lebensbedrohlich erkrankten Covid-19-Patienten fordert manchmal auch kritische Entscheidungen durch die Ärzte und das Pflegepersonal. Vor allem dann, wenn nicht genug Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen.
Die Triage als Situation:
Ein Krankenhaus hat noch genau einen Beatmungsplatz für einen Covid-19-Patienten frei.
Stellen wir uns vor, zur gleichen Zeit werden zwei Intensivpflegepflichtige Covid-19-Patienten eingeliefert.
Patient 1: schwere Atemnot, 40 Jahre, männlich, ohne Vorerkrankungen aber bewusstlos wegen Atemnot. Die Lunge ist stark angegriffen. Deshalb voraussichtlich schwerer Verlauf.
Patient 2: schwere Atemnot, 21 Jahre, weiblich, diagnostizierte, fortschreitende Erkrankung im Nervensystem, bei Bewusstsein, Lunge mittelmäßig stark angegriffen, Beatmung wegen Vorerkrankungen notwendig.
Jetzt muss der Arzt entscheiden, welcher Patient bekommt das Intensivbett mit Beatmung? Beide Patienten werden ohne den Beatmungsplatz versterben.
Die Empfehlung der Fachgesellschaften:
Um Ärzten die Entscheidung in der Situation der Triage zu erleichtern, haben sieben große Fachgesellschaften eine gemeinsame Handreichung erarbeitet. Diese enthält Informationen darüber, wann eine Intensivtherapie nicht stattfinden soll. Außerdem gibt es darin Informationen, welche Patienten bevorzugt das verfügbare Bett in der oben dargestellten Situation zur Verfügung gestellt werden soll. Die Abwägung der Bevorzugung verläuft nach Empfehlung der Fachgesellschaften durch eine festgelegte Zusammenstellung an Informationen. Die Informationskriterien zur Einschätzung lauten wie folgt:
- Abwägung des klinischen Zustands
- eventuell Patientenverfügung oder mündliche Willensäußerung
- zusätzliche Erkrankungen (Vorerkrankungen)
- Erfassung der Gebrechlichkeit
- Laborparameter
- weitere Einschätzungsskalen
Die Kritik:
Der Gedanke, die Ärzte mit ihrer Entscheidung im Ernstfall nicht allein zu lassen ist sicherlich richtig. Es gibt nichts Schlimmeres, als in einer Situation wie dieser allein mit der Entscheidung zu sein. Ein offizielles Papier wie dieses sollte jedoch keine allgemeine Benachteiligung auslösen können.
Das tut es aber, indem es in die Bewertung Vorerkrankungen und die generelle „Gebrechlichkeit“ mit einbezieht. Somit erhält der Patient mit Vorerkrankungen grundsätzlich eine schlechtere Einschätzung, als der Patient ohne Vorerkrankungen. Daraus resultiert, dass Patienten mit Vorerkrankungen in der Wahrscheinlichkeit, einen Beatmungsplatz auf einer Intensivstation zu bekommen, deutlich benachteiligt sind, weil die Wahrscheinlichkeit durch die Berechnung des Scores und durch dessen Punktzahl geringer wird.
Wenn ein Arzt nach der Handreichung entscheidet, so haben Menschen mit seltenen, bestehenden und fortschreitenden Vorerkrankungen ungeachtet ihrer Lebensqualität, ihrer Überlebenswahrscheinlichkeit und bei explizit besserem Allgemeinzustand, keine Chance auf das einzige, freie Intensivbett. Durch die Bewertung des Allgemeinzustands und der zusätzlichen Erkrankungen (Kommobilität), fällt die Bewertung eines Menschen mit Vorerkrankung, trotz guter Lebensqualität grundsätzlich schlechter aus als die eines Menschen ohne Vorerkrankungen. Demnach entstünde eine grundsätzliche Ausgrenzung, bzw. ein Ausschluss von einer Intensivversorgung für Menschen mit Vorerkrankungen, im Falle einer Covid-19 Infektion.
Dies bedeutet eine grobe Benachteiligung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und es verstößt gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.
Grundsätzlich ist es ethisch gesehen fragwürdig, ob man die Behandlungsfähigkeit, die Lebensqualität und den gesundheitlichen Zustand eines Menschen mit einer Punkteskala bewerten kann und sollte. Um ein faires Ergebnis für alle, die von und mit der Entscheidung betroffen sind, zu erzielen, ist es abwegig, den Individualzustand in ein Punktesystem zu pressen, in das viele Menschen mit Vorerkrankung oder individuellem Lebensstil nicht hineinpassen.
Niemand darf für seinen Gesundheitszustand bestraft werden.
Wie würde der Arzt im oben genannten Fall entscheiden?
Die Entscheidung des Arztes würde gegen eine Behandlung der Patientin 2 und für die Behandlung von Patienten 1 fallen, denn die Vorerkrankung hat Patientin 2 einen deutlich schlechteren Score als der bewusstlose Patient 1.
Zum Weiterlesen:
https://pneumologie.de/fileadmin/user_upload/Aktuelles/2020-03-25_COVID-19_Ethik_Empfehlung_Endfassung_2020-03-25.pdf (abgerufen am 08.04.2029)
https://abilitywatch.de/2020/03/30/fachgesellschaften-veroeffentlichen-ethisch-und-verfassungsrechtlich-fragwuerdige-covid19-empfehlungen/ (abgerufen am 08.04.2020)