„Barrierefrei“ Urlauben

Oder: warum Menschen mit Behinderung keine freie Reisewahl haben

Wer mich aufmerksam in den sozialen Medien verfolgt, hat sicherlich am Rande mitbekommen, dass mein diesjähriger Jahresurlaub mich nach Frankreich, genauer gesagt in die Bretagne geführt hat. Wer nun der allgemeinen Instagram-Realität glauben mag, der sieht eine schillernde, stufenlose und für jeden Menschen zugängliche Urlaubslandschaft. Doch ist das wirklich so oder trügt doch eigentlich der Schein?

Die Illusion vom „barrierefreien Urlaub“:

Die Sonne scheint, eine leichte Brise weht durch die Palmblätter. Sandkörner fliegen vorbei, während ich im September an einem kleinen Strand, der als Geheimtipp gilt auf meinem Strandrollstuhl in der Sonne brate. Ein idyllischer, von Bäumen gesäumter Weg führte uns mit Blick aufs Wasser hierhin. Die Unterkunft ist ein idyllisches, bretonisches Häuschen mit Rampe vor der Tür. Innen befindet sich ein erhöhter Esstisch, ein Schlafzimmer mit unterfahrbaren Betten, eine offene Küche und 2 Badezimmer mit Haltegriffen und einer schwellenlosen Dusche. Auf dem Tisch liegt ein Ordner voller Ausflugsideen und alle sind jederzeit auch für Menschen mit jeder Art von Behinderung zugänglich und nutzbar.

Na, hat euch dieser kleine Ausflug in meine Fantasie-Gedankenwelt gefallen? Spätestens bei den Ausflugsideen seid ihr wahrscheinlich stutzig geworden. Einen solch, traumhaften barrierefreien Urlaub erleben wir wahrscheinlich kaum bis selten, wenn überhaupt.

Und das, obwohl es doch so einfach klingt … Es scheint für viele Urlaubsziele auf der ganzen Welt eine große Herausforderung zu sein, zumindest einen Großteil der Angebote, wenn nicht für alle, dann wenigstens für einen Teil der verschiedenen „Behinderungsgruppen“ zugänglich zu machen.

Hinweis: Als Anbieter*in einer Unterkunft oder einer Attraktion ist es ratsam, einen Hinweis zur Zugänglichkeit auf der eigenen Webseite oder auf Vermittlungsportalen zu geben. So kann eine Person mit Behinderung selbst entscheiden, ob die Gegebenheiten vor Ort vielleicht auch ohne das Label „barrierefrei“ nutzbar sind.

Schon in meinem Beitrag rund um die Insel Rügen habe ich vor einigen Jahren darüber berichtet, dass es zum Beispiel Strandrollstühle dort nur in der Hauptsaison zum Ausleihen an den großen, belebten Touristen- und Heilbad-Stränden gibt.

So ist es auch in der Bretagne. Im Vorfeld habe ich über die Ferienhausbesitzer*innen anfragen lassen, ob es möglich wäre, für meinen Aufenthalt einen Strandrollstuhl zu mieten. Aufgrund der Tatsache, dass ich von Reisen in der Hauptsaison aus Preis- und entspannungstechnischen Gründen absehe, hatte mein kleines und bescheidenes Auto dann halt doch ca. 20 Kilo mehr, in Gestalt meines eigenen Strandrollstuhls zu transportieren, da auch hier die Vermietungsoption nur in der Hauptsaison gegeben ist. Abgesehen davon, dass ich mir generell ungerne vorschreiben lasse, an welchen Stränden ich sein darf und an welchen nicht, lasse ich mir meinen Reisezeitraum noch weniger gerne vorschreiben.

Wie, ihr sagt, niemand würde mir vorschreiben, wann ich zu reisen habe …? Doch natürlich, durch die zielgerichtete Zurverfügungstellung von Strandrollstühlen oder anderen Hilfsmitteln zur Zugänglichmachung einzelner Strandabschnitte wird indirekt durchaus bestimmt, an welchen Stränden sich rollstuhlfahrende Personen aufhalten und an welchen nicht. Die Mitnahme eines vorort geliehenen Strandrollstuhls zu einem anderen Strand ist zum einen aufgrund der Größe des Hilfsmittels unrealistisch und zum anderen seitens der Vermieter*innen ( meist Strandaufsicht) unerwünscht, wenn nicht sogar verboten. Dasselbe gilt für den Reisezeitraum … Stelle ich als Urlaubsland nur in der Hauptsaison Strandrollstühle oder Strandmatten zur Verfügung, so kommen diejenigen Menschen mit Behinderung, die diese Einrichtungen nutzen möchten, auch ausschließlich in der Hauptsaison, der teuersten Reisezeit des Jahres.

Abgesehen davon, dass Menschen mit Behinderung nicht gerade zur zahlungskräftigsten Gruppe unserer Gesellschaft gehören, schränkt indirekte Bestimmung der Reisezeit auch die Möglichkeiten für bestimmte Urlaubserlebnisse ein. So wird es für eine Person, die einen Strandrollstuhl benötigt, schwierig werden, eine Strandwanderung im Herbst bei rauer Brise mit dem Hund zu erleben.

Reisen in der Nebensaison – Urlaub mit Abstrichen oder eigener Hilfsmittelbeschaffung

Strandurlaub:

Wenn Mensch mit Behinderung, in meinem Fall Mensch mit Rollstuhl und Bedarf im Rahmen der außerklinischen Intensivpflege in der Nebensaison reisen möchte, gibt es einiges zu beachten. Auch im September kann es schöne, sonnige und vielleicht nicht ganz so heiße Sommertage geben, die gut für einen Strandausflug geeignet sind. Um diesen auch verwirklichen zu können, gibt es verschiedene Möglichkeiten zur Umsetzung.

Strandweg aus Holz

Zum einen kommt es auf die Wahl des Urlaubszieles an … Selten, aber immer öfter gibt es Strände, an welchen zum Beispiel Holzstege dauerhaft installiert sind, zum Beispiel auf Usedom, die sich von einzelnen Strandzugängen mit dem Rollstuhl befahren lassen. Allerdings sind diese Wege oftmals schmal und bieten keinen/kaum Wendekreis. Demnach sollte zeitlich und wettertechnisch gut überlegt werden, ob eine Fahrt vom einen rollstuhlzugänglichen Strandzugang bis zum nächsten realistisch ist. Auch bis ganz ans Wasser führen diese Wege meist nicht.

Eine zweite, jedoch einmalig kostspielige Alternative ist der Besitz eines eigenen Strandrollstuhls. Je nach Modell und auch eigener, körperlicher Verfassung kann dies sogar ein Vorteil sein. Manche, stark universelle, eher als Outdoor-Rollstuhl zu bezeichnenden Modelle sind nicht nur für Strand und Sand geeignet, sondern auch für Schnee und Gebirge. Außerdem kann der eigene Strandrollstuhl an die individuellen Bedürfnisse angepasst und durch Zusatzmaterial oder gegebenenfalls Ergänzungen der „Marke Eigenbau“ zur ultimativen, eigens mitgebrachten Sonnenliege werden. Allerdings bleibt hier auch immer im Bezug auf die Nachhaltigkeit ein fader Beigeschmack … Nehmen wir an, unser Jahresurlaub dauert im Schnitt 15 Strand-Tage. An den restlichen 350 Tagen des Jahres fristet unser Strandrollstuhl, wenn er nicht auch für Gebirge und Schnee genutzt wird, ein trauriges Dasein im Keller.

Aktivitäten:

Wenn wir im Urlaub sind, möchten wir auch etwas erleben. Die einen mögen es sportlich, die anderen entspannt, meist ist für jeden Geschmack eine gute Aktivität zu finden.

Wenn Menschen in der Nebensaison reisen, reduziert sich zumeist das Angebot der animierten Aktivitäten deutlich. Gerade solche sind schon in der Hauptsaison oftmals nicht auf Menschen mit Behinderung eingestellt. Von den wenigen, die dann doch zugänglich sind, machen ebenfalls mindestens die Hälfte nach Beendigung der Hauptsaison die Schotten dicht. So ist bei Reisen in der Nebensaison für Menschen mit Behinderung noch mehr die eigene Kreativität und vielleicht auch ein gewisser Aktionismus gefordert.

Was meine ich damit?

Naja, zum einen meine ich damit, dass Mensch mit Behinderung sich in der Nebensaison nicht darauf verlassen kann, geführte und animierte, barrierefreie Freizeitaktivitätsangebote zu finden, wie zum Beispiel rollstuhlgeeignete Bootstouren. Vielmehr müssen wir uns unsere Sehenswürdigkeiten aktiv selbst aussuchen, sie aufsuchen und ihre Geheimnisse durch eigene Recherche lüften. Für die einen mag das spannend sein, für die anderen ist es aufwendig und lästig.

Entscheidend ist am Ende jedoch nur das Angebot an passenden Unterkünften:

Stadtpanorama mit Elektrorollstuhl

Den nach meiner Auffassung größten Einfluss darauf, wo ich als Mensch mit Behinderung Urlaub mache, hat im Endeffekt aber nur das Angebot an zugänglichen Unterkünften. Ich kann mir noch so viele Hilfsmittel wie Strandrollstuhl, Rampe oder was auch immer mitbringen, wenn meine Unterkunft nicht zumindest Wendekreis für den Rollstuhl, die ein oder andere Steckdose und ein Bett im Erdgeschoss zur Verfügung stellt, brauche ich nicht über Urlaub nachzudenken. Gerade in Regionen, die auf eine lange Historie zurückblicken, die von hübschen, geschichtsträchtigen Gebäuden gestaltet sind und deren Charakter mehr ist, als nur eine Geldverbrennungsanlage für den Massentourismus wird es oftmals schwierig ein geeignetes Urlaubsdomizil zu finden. Hin und wieder braucht es da sogar einen richtigen Geheimtipp von ortskundigen Menschen, die zumindest im Ansatz eine Idee davon haben, wie eine für mich nutzbare Unterkunft aussehen könnte. Von barrierefrei sprechen wir hier mal lieber nicht, denn was für mich gegebenenfalls mit eigens mitgebrachten Hilfsmitteln nutzbar ist, kann für euch vollkommen unbrauchbar sein.

Oder wie seht ihr das? Was bedeutet für euch barrierefreies Reisen?

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